Das Hill Country um Austin im Südwesten von Texas muss einen ganz besonders fruchtbaren Boden haben - soviel gute wurzelnahe Musik, wie sie hier in Jahrzehnten entstanden ist, findet man kaum woanders in den an reichen Kulturgegenden nicht gerade darbenden Vereinigten Staaten. Lincoln Durham heißt die neueste Attraktion aus Austin - er trägt die Farbe des Blues, jenes urwüchsigen, rohen Blues, der vom texanischen Country infiltriert ist und der so kraftvoll, ehrlich und authentisch, gleichzeitig aber auch frisch und jugendlich wirkt, wie man so etwas schon lange nicht mehr gehört hat. Nicht in dieser Qualität, nicht in dieser unwiderstehlichen, gnadenlosen Power. Nach dem für viel Gesprächsstoff sorgenden Blue Rose-Debüt 'The Shovel Vs. The Howling Bones' von Mitte 2012 liegt nun der großartige, voll überzeugende Nachfolger 'Exodus Of The Deemed Unrighteous' vor.

Dieses neue 10 Song-Monster mit ambitioniertem Konzeptcharakter über Tod & Teufel, Sinners & Saints und all den menschlichen Abgründen im Mittelpunkt bedeutet eine Rückbesinnung auf seine frühen Aufnahmen. Denn Durham folgt hier fast ausschließlich dem von White Stripes bis Black Keys bewährten Zweimann-Modell, das ja auch auf 'The Shovel...' rund die Hälfte des Stoffs ausgemacht hatte. Der bekannte Rick Richards (Gurf Morlix, Slaid Cleaves, Mary Gauthier) spielt als Drummer/Percussionist dabei keine unerhebliche Rolle, aber den Rest bestreitet Durham selbst - und das diesmal deutlich lauter und elektrischer. Er spielt akustische und elektrische Gitarren, vorzugsweise mit Slide und Bottleneck, Lap Steel, Klavier, Harmonica und auf dem 'Exodus Waltz', sozusagen dem "Theme Song", Fiddle und Banjo. Dazu singt er mit seiner herben, durchdringenden, ja mitunter regelrecht brutalen "Preacher Blues"-Stimme in einer irren Kombination aus Howlin' Wolf, Steve Earle und Robert Plant oder Jack White, John Fogerty und Ryan Bingham. Bei all diesem archaischen, eindringlichen, rohen Southern Gothic-Zeug kommt aber auch der Songschreiber Durham nicht zu kurz - man braucht diesmal vielleicht nur etwas mehr Zeit, um die sperrigen, gewundenen Stücke zu entschlüsseln.

Mit 'Ballad Of A Prodigal Son' setzt Lincoln Durham gleich zum Start Maßstäbe: Über einem düsteren Gospelchorus prügelt er auf seinen alten Samsonite-Koffer in Chain Gang-Manier ein und adaptiert dabei mit bedrohlich schreiender Stimme die Parabel des verlorenen Sohns aus der Bibel für seine eigene Geschichte, bevor gegen Ende die elektrische Slide noch mächtig reinbratzt. Nahtlos folgt 'Rise In The River' wie ein alter Creedence-Hit im reduzierten White Stripes-Arrangement. Für die in Serie männermordende 'Annie Departee' reichen die Monotonie der selbstgebauten Cigar Box Guitar mit nur einer Saite (G-String immerhin!) und Rick Richard's Powerhouse Drumming. Für das sämtliche Illusionen zerstörende, deprimierende 'Stupid Man' wechselt Durham zur Akustischen. Dafür verzichtet er auf 'Strike Us Down' gänzlich auf eine Gitarre, jagt seine wütende Ohnmacht über das Böse im Blut, das der korrupte Prediger schon gar nicht lindern kann, durch einen Vox Verstärker zusammen mit einer quälenden Blues Harp und pochendem Getrommel, das sich wie das Klopfen am Tor zur Hölle anhört. Vermeintliche Erholung bei 'Keep On Allie', einer Akustikballade im Steve Earle-Gewand - Durham sinniert über Allie's Zukunft: Wird sich ihr Leben zum Guten wenden? Das ist kaum anzunehmen bei all der Panik, bei dem Zorn und der Verbitterung, bei den ganzen Ängsten, die dieses eindringliche Album wie ein roter Faden durchziehen und so kongenial ihre musikalische Umsetzung finden. Auch auf dem folkpunkigen 'Exodus Waltz', den Durham mit Fiddle und Banjo ganz nach Art eines David Eugene Edwards inszeniert und direkt in das finale Stück 'Mama' überführt. Eben diese wird in letzter Verzweiflung angerufen, endlich all die Alpträume zu verscheuchen und für "sweat dreams" zu sorgen! Wohl erfolgreich, denn - so erzählt Lincoln Durham - "dieses Album ist meine Befreiung von all den Dämonen, die mir gegenüber standen".

Wieder produziert von George Reiff (Ray Wylie Hubbard, Band Of Heathens, Shinyribs) ist 'Exodus Of The Deemed Unrighteous' unbedingt auch was für Fans von Chris Whitley, Seasick Steve, North Mississippi Allstars und Sixteen Horsepower/Wovenhand. Sein Mentor Ray Wylie Hubbard sagt: "If you dig Son House and Townes Van Zandt... Lincoln Durham is your man. Don't come no cooler." Das ist doch schon allerhand für einen jungen Texaner aus Austin!!